Energie in der Europäischen Union: Vergleich von Kapazitätsmechanismen

International wird zunehmend debattiert, ob der Energy-Only-Markt (EOM) für sich genommen in der Lage ist, ausreichend verfügbare Erzeugungskapazitäten bereitzustellen, um die Versorgungssicherheit gewährleisten zu können. Mehrere Argumente werden diesbezüglich angeführt, darunter nicht prognostizierbare Strompreise aufgrund von Wetterabhängigkeit sowie die Abwesenheit eines Marktes für die langfristige Absicherung von Kraftwerksinvestitionen. Zudem wächst durch die zunehmende Marktdurchdringung von erneuerbaren Energien die Befürchtung, dass der EOM keinen oder nur noch einen geringen Teil zur Amortisation der Investitionskosten beitragen kann.

Tatsächlich wird in existierenden internationalen Strommarktdesigns mittlerweile ein beträchtlicher Teil der durch zusätzliche Mechanismen bzw. Vergütungen angereizt. Der Haupttyp unter diesen Zusatzmechanismen sind Kapazitätsvergütungssysteme, also Mechanismen, die nicht die produzierte Strommenge vergüten, sondern die bereitgestellte Erzeugungskapazität.

International sind drei Haupttypen von Kapazitätsmechanismen verbreitet, welche auch beispielhaft in Europa vorzufinden sind.

Strategische Reserven

Die mildeste Form sind strategische Reserven, bei denen eine bestimmte Kraftwerkskapazität außerhalb des Marktes vorgehalten wird. Die Kapazität enthält ein Entgelt, das in einer Auktion ermittelt wird. Die Reserve wird nur dann eingesetzt, wenn bestimmte Kriterien erfüllt werden, die indizieren, dass der EOM nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten keine vollständige Lastdeckung erwarten lässt.   
Als Beispiel lässt sich hier die 2020/2021 initiierte Kapazitätsreserve in Deutschland anführen, welche 2 Gigawatt betragen und für Situationen außergewöhnlicher Knappheit vorgehalten werden soll.

Dezentrale Kapazitätsmechanismen

Dezentrale Kapazitätsmechanismen setzen an der Nachfrageseite an. Kernidee ist, das zuvor öffentliche Gut der Versorgungssicherheit dadurch zu privatisieren, dass die Stromvertriebe verpflichtet werden, ihren Anteil am Gesamtkapazitätsbedarf zum Höchstlastzeitpunkt durch Beschaffung von Leistungszertifikaten zu decken.           
In Europa ist solch ein System nur in Frankreich vorzufinden und wurde dort 2017 zum ersten Mal angewendet. Das Angebot der Kapazitätsgarantien entsteht dadurch, dass der Systembetreiber RTE Kapazitätsgarantien ausgibt, welche im Markt dezentral gehandelt werden und dadurch den zertifizierten Anbietern einen Einnahmestrom sichern.

Zentrale Kapazitätsmechanismen

Bei zentralen Kapazitätsmechanismen beschafft eine zentrale Instanz als single buyer eine bestimmte Kapazität und vergütet diese. Die Vergütungshöhe wird meist über eine synthetische Nachfragefunktion ermittelt, die die Höhe der Kapazitätsentgelte in Beziehung zur vorhandenen Kapazität setzt. Neben der Kapazität selbst kann auch eine Reliability Option (RO) – ein langfristiges Risikoabsicherungsinstrument – Gegenstand der Vergütung sein.
Italien ist ein Beispiel für einen solchen Kapazitätsmechanismus, in dem ROs auktioniert werden, deren Zielmenge durch den Übertragungsnetzbetreiber festgelegt wird. Es werden synthetische Nachfragekurven verwendet, die sich je nach Preiszone unterscheiden.

Fazit

In Europa scheinen sich marktbreite Kapazitätsauktionen durchzusetzen, die sich an staatlich festgelegten künstlichen Kapazitätsnachfragefunktionen orientieren.    
Die hohe Komplexität und Folgelastigkeit von umfassenden Kapazitätsmechanismen bedingen eine sorgfältige Analyse ihrer Erforderlichkeit sowie ein umsichtiges Design, um umfangreiche Nachbesserungen zu vermeiden und das Vertrauen der Investoren zu sichern.
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Eine Langfassung des Beitrags, in der die Kapazitätsmechanismen weiterer Länder betrachtet werden, finden Sie hier.