Energie in der Europäischen Union: Langfristverträge in der europäischen Energiewirtschaft

Seit der Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte in Europa Anfang der 2000er Jahre werden diese Energieträger zunehmend in Form standardisierter Handelsprodukte über Händlerplattformen oder an (Energie-)Börsen gehandelt. Vorher fand der Handel mit Strom und Gas ganz überwiegend über individuelle – und fast immer langfristige – Verträge statt. Im Jahr 2021 durchliefen die Preise im Strom- und Gasmarkt einen enormen Anstieg, der im Winter 2021/2022 zu einem bis dahin beispiellosen Niveau hoher Energiepreise führte. In Anbetracht dieser Entwicklung stellt sich die Frage, ob die Liberalisierung zu weit gegangen ist und die Bedeutung von Langfristverträgen, zum Beispiel für die Versorgungssicherheit, unterschätzt wurde.

Definition, Zweck und Eigenschaften von Langfristverträgen

Von Langfristvertrag ist die Rede, wenn es zwischen einem Verkäufer (Produzent, Großhändler) und einem Käufer (Importeur, Energieversorger, großer Endverbraucher) vertragliche Regelungen mit einer Laufzeit von mindestens fünf Jahren gibt. In jedem Fall reichen Langfristverträge über den Zeithorizont von standardisierten Handelsprodukten hinaus. Der Hauptzweck von Langfristverträgen im Energiebereich besteht in der Reduktion von Risiken, sowohl aus Sicht des Käufers als auch des Verkäufers. Während der Verkäufer eine Abnahmegarantie über bestimmte Mindestmengen für die Laufzeit erhält, bekommt der Käufer eine Liefergarantie. Auf diese Weise werden Investitionen in Infrastrukturen abgesichert und in vielen Fällen erst ermöglicht. Darüber hinaus wird aus Sicht des Käufers durch die langfristige Kontrahierung fester Mengen die Energieversorgungssicherheit gewährleistet. Sie werden zumeist passgenau auf die Situation der Parteien zugeschnitten. Vor allem die europäische Gaswirtschaft hat jahrzehntelang erfolgreich Geschäfte auf Basis bilateraler Langfristlieferverträge getätigt.

Heutige Relevanz von langfristigen Energielieferverträgen

Zurzeit und auch zukünftig kommt bilateralen Langfristverträgen im Markt für verflüssigtes Erdgas (LNG) eine hohe Bedeutung zu, da neue LNG-Exportinfrastruktur für jedes Terminal milliardenschwere Investitionen voraussetzt. Um das Risiko von Fehlinvestitionen zu senken und eine langfristige, kontinuierliche Abnahme zu sichern, ist der Abschluss langfristiger Kapazitätsnutzungsverträge eine der Voraussetzungen, bevor eine finale Investitionsentscheidung getroffen wird. Im Jahr 2020 basierten 60 % der weltweit importierten LNG-Mengen auf Langfristverträgen.

Power Purchase Agreements (PPAs)

Bei PPAs handelt es sich um Vereinbarungen, die den Verkauf und Kauf von Strom zwischen zwei Parteien regeln. In der aktuellen Diskussion beziehen sich PPAs üblicherweise auf Lieferungen von Strom aus regenerativen Energien. PPAs stellen eine Möglichkeit dar, den Betrieb von Anlagen nach dem Auslaufen staatlicher Förderungen aufrecht zu erhalten. Diese Verträge haben in der Regel eine Laufzeit zwischen einem und fünf Jahren, bei Neuanlagen sind es bis zu 20 Jahre.

Perspektive für die Wasserstoffwirtschaft

Es ist zu erwarten, dass Langfristverträgen im internationalen Handel mit Wasserstoff eine zentrale Rolle zukommen wird. Darauf deutet auch das von der deutschen Regierung aufgesetzte Förderprogramm H2Global hin, das den Aufbau von H2-Produktionsanlagen sowie H2-Importe ermöglichen soll, indem die Differenz zwischen Ankaufs- und Verkaufspreis von Wasserstoff per Zuwendung des Bundes für maximal zehn Jahre ausgeglichen wird. Im Rahmen einer Auktion bekommt das günstigste Angebot für den Verkauf von Wasserstoff den Zuschlag und einen langfristigen Vertrag.

Fazit

Langfristverträge stellen aufgrund der Planungssicherheit für Käufer und Verkäufer ein wichtiges Werkzeug, insbesondere bei einem Markthochlauf, dar. Dass die EU über das Jahr 2049 keine neuen Langfristverträge für den Import von Erdgas zulassen will, spiegelt weniger eine sinkende Bedeutung von Langfristverträgen als die politisch gewollte Minderung des Verbrauchs fossiler Energieträger wider. Im Handel mit erneuerbaren Energien in Form von Strom oder Wasserstoff wird Langfristverträgen eine tragende Rolle zukommen, wie heute schon in der Praxis, z. B. durch PPAs oder durch die H2Global-Initiative, deutlich wird.


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