29/06/2022: Deutsche Versorgungssicherheit im europäischen Kontext denken

Weltenergierat – Deutschland veröffentlicht Jahresstudie Energie für Deutschland 2022
Schwerpunkt: Deutschlands Energieversorgung
Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit von Energie jetzt im Fokus

„Innerhalb der G7-Gruppe weist Deutschland neben Italien das höchste Energieversorgungsrisiko auf“, erklärt Prof. Dr. Manuel Frondel, Leiter des Kompetenzbereiches Umwelt und Ressourcen am RWI – Leibniz-Institut für Wirtschafsforschung sowie Autor des diesjährigen Schwerpunktkapitels der Weltenergierat-Studie Energie für Deutschland 2022 anlässlich der heutigen Veröffentlichung. „Das ist nicht zuletzt auf die starke Zunahme der Rohöl-, Steinkohle- und Erdgasimporte aus Russland in den letzten Jahren zurückzuführen – insbesondere seit Inbetriebnahme der Nord Stream 1-Pipeline 2011.“

Frondel misst das langfristige Energieversorgungsrisiko von Staaten mithilfe eines selbst entwickelten Indikators. „Deutschlands Energieversorgungssicherheit ist seit dem Ende der 1970er Jahre gesunken, trotz einer deutlichen Steigerung des Erneuerbaren-Anteils am Primärenergiemix auf 16 %. 2021 importierte die Bundesrepublik rund 70 % ihrer benötigten Energie. Russland war dabei mit einem Anteil von ca. 55 % an den Erdgas-, von 50 % an den Steinkohle- und von ca. 34 % an den Erdölimporten der mit Abstand wichtigste Lieferant“, erläutert Frondel. „Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sind Deutschland und anderen europäischen Staaten auf drastische Weise die Folgen einer hohen Energieimportabhängigkeit von einem einzigen Lieferland vor Augen geführt worden.“

„Wird angenommen, dass im Jahr 2030 keine Importe mehr aus Russland stammen, ginge das Versorgungsrisiko entsprechend dem Indikator deutlich zurück. Die Ergebnisse zeigen, welch große Bedeutung einer Diversifizierung bei der Versorgungssicherheit zukommt, nicht nur hinsichtlich der Importländer, sondern auch der Auswahl an Energieträgern und -technologien“, schlussfolgert Frondel. „Es ist daher zu begrüßen, dass Deutschland mit Blick auf die Erreichung von Klimaneutralität bis 2045 auf zahlreiche alternative Energieträger, wie Wasserstoff (H2) und H2-Derivate, setzt und den Erneuerbaren-Ausbau vorantreibt. Auch eine Steigerung der Energieeffizienz und eine Beschleunigung der Genehmigungsverfahren bei Projekten zur Gewinnung heimischer Energieträger dienen der Versorgungssicherheit.“

Dr. Carsten Rolle, Geschäftsführer des Weltenergierat – Deutschland, ergänzt: „Die starken Preisanstiege für Energierohstoffe in der 2. Jahreshälfte 2021 und der Russland-Ukraine-Krieg haben das Thema Versorgungssicherheit in Deutschland und Teilen Europas stark in den öffentlichen Fokus gerückt. In den vergangenen Jahren konzentrierte sich die nationale Politik besonders auf den Aspekt der Nachhaltigkeit der Energieversorgung, während die Sicherheit und Bezahlbarkeit eine untergeordnete Rolle spielten. Versorgungssicherheit hat ihren Preis. Um die Gefahr einer Vernachlässigung der einen Dimension dieses Energiedreiecks zu vermeiden, sollten politische Entscheidungsträger künftig noch stärker auf einen Ausgleich der drei Dimensionen setzen und alle drei Ziele mit gleicher Priorität verfolgen.“

„Deutschlands Energieversorgung muss dabei im europäischen Kontext betrachtet werden, wie nicht zuletzt die verbundenen europäischen Märkte für Gas und Strom deutlich machen“, fährt Rolle fort. „Besonders hervorzuheben sind dabei die Bedeutung breit aufgestellter internationaler Partnerschaften sowie die Vorteile europäischer Kooperation und Koordination, z. B. beim H2-Import und der Definition gemeinsamer Standards.“

Die Energie für Deutschland 2022 können Sie hier herunterladen. Weitere Themen in dieser Ausgabe: Die Erreichbarkeit des 1,5 Grad-Ziels, die Zukunft von Gas, die Bepreisung und Subventionierung von Energie im internationalen Vergleich, die Verbesserung der Resilienz von Energieinfrastrukturen, ein europäischer Vergleich von Kapazitätsmärkten und vieles mehr.

Ansprechpartnerin:  Maira Kusch / T: (+49) 30 2028 1626 / E: kusch@weltenergierat.de