Energie in der Europäischen Union: Reform des europäischen Strommarktdesigns

Das Europäische Parlament, der Rat der Europäischen Union und die Europäische Kommission haben sich Ende 2023 auf das lang erwartete Legislativpaket zur Reform des europäischen Strommarktdesigns geeinigt. Wesentliches Motiv war hierbei – neben der weiteren Optimierung des Strom-Binnenmarktes –  der Schutz der Stromkonsumenten vor hohen Preisen unter dem Eindruck der Energiepreiskrise 2022/2023. Eine fundamentale Änderung des europäischen Strommarktdesigns blieb zwar aus, doch bringt die Reform eine Fülle von Maßnahmen mit sich, die z. T. gravierende Auswirkungen haben können.

Hintergründe

Schon seit vielen Jahren wird angesichts des Umbaus der Stromerzeugung zu erneuerbaren Energien (EE) und angesichts unsicherer Investitionsbedingungen für thermische Kraftwerke diskutiert, ob und inwiefern das Marktdesign für Strom verändert werden müsste. Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine und den in der Folge stark angestiegenen Strom- und Gaspreisen mehrten sich die Stimmen, die den Energy-Only-Markt (EOM) hinsichtlich seiner Funktionalität hinterfragten. Dabei standen v. a. Fragen des Konsumentenschutzes im Vordergrund. Die Europäische Union (EU) hat vor diesem Hintergrund Anfang 2024 ein Maßnahmenpaket zur Reform des Marktdesigns beschlossen.

Die europäische Strommarktreform im Überblick

Die Energiepreiskrise hat die europäische Strommarktreform erheblich beeinflusst, insb. hinsichtlich der Einführung weiterer Schutzmaßnahmen für Stromkonsumenten. Doch war die Reform bereits länger geplant. Im März 2023 wurde von Seiten der EU-Kommission ein erster Legislativvorschlag für einen neuen Marktdesign-Rahmen vorgelegt. Im Dezember 2023 wurde zwischen EU-Parlament und dem Rat der EU (EU-Ministerrat) eine Einigung zum Gesamtpaket erzielt. Zentrale Aspekte sind u. a. die Finanzierung erneuerbarer Energien, Anreize für Flexibilität, insb. zur verbesserten Marktintegration der Erneuerbaren, sowie der Schutz der Konsumenten vor hohen Strompreisen. Auch eine Überarbeitung des europäischen Rahmens für nationale Kapazitätsmechanismen zur Anreizung gesicherter Leistung stand zur Debatte. Doch hier kam es kaum zu Veränderungen. Die (in Deutschland erneut viel diskutierte) Finanzierung gesicherter Leistung und die Gewährleistung der Versorgungssicherheit bleibt auch weiterhin – im Rahmen der bestehenden europäischen Vorgaben – weitestgehend von den Mitgliedstaaten selbst zu orchestrieren.

Die wichtigsten Themen dieses Maßnahmenpakets sind: Die verbindliche Einführung zweiseitiger Differenzverträge (Contracts for Difference, CfDs) als Hauptinstrument für die staatliche EE-Förderung, die Schaffung sog. virtueller regionaler Hubs, Maßnahmen betreffend der Förderung von Flexibilität in Strommärkten, Maßnahmen zum Schutz von Stromkunden, wie die Definition eines Preisnotstands oder die stärkere behördliche Beaufsichtigung des Absicherungsverhaltens von Vertrieben sowie weitere Maßnahmen wie z. B. die Schaffung eines Peak Shaving Instruments (Spitzenglättung) für die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB).

Regionale virtuelle Hubs

Die EU-Strommarktdesign-Verordnung (EMD-VO) sieht vor, die Einführung regionaler virtueller Hubs zu prüfen. Ein regionaler virtueller Hub ist ein Gebotszonen-übergreifender Referenzpreis für den Forward-Markt, der aus den Einzelpreisen der beteiligten Gebotszonen errechnet wird.

Ziel der Einführung von regionalen virtuellen Hubs ist es, Marktteilnehmern in weniger liquiden Gebotszonen Zugang zur Liquidität anderer Gebotszonen zu verschaffen, indem sie die Möglichkeit erhalten, sich gegen den Hub-Preis abzusichern. Es ist möglich, dass eine große, liquide Gebotszone wie Deutschland gleichzeitig Bestandteil mehrerer virtueller regionaler Hubs werden kann. Im Falle Deutschlands könnten dies bspw. ein aus Deutschland, Frankreich und Benelux bestehender Hub einerseits sowie ein aus Deutschland und ostmitteleuropäischen Ländern bestehender Hub andererseits sein. Die entsprechenden geographischen Hub-Definitionen stehen aktuell noch aus. Auch das entsprechende Verfahren zur Ermittlung des Hub-Preises (z.B. ein gewichteter Durchschnittspreis) muss noch festgelegt werden.

Regionale virtuelle Hubs werden von Marktteilnehmern z. T. kritisch gesehen, weil ein Liquiditätsabfluss aus bisher liquiden Gebotszonen vermutet wird. Zudem wird befürchtet, dass dies zu einer Vorstufe der Aufteilung der bestehenden deutschen Einheitspreiszone werden könnte.

Schutz der Konsumenten als vordergründiges Ziel

Insgesamt ist das Marktdesign-Paket zwar von dem Bemühen geprägt, das Funktionieren des Binnenmarktes zu verbessern, wenngleich nicht alle Maßnahmen auf den ersten Blick dafür geeignet zu sein scheinen. Vorrangiges Ziel war jedoch der Schutz der Konsumenten vor hohen Strompreisen. Dies erklärt zahlreiche nunmehr ermöglichte Markteingriffe wie das Peak-Shaving, die Definition der Preisnotstandsmaßnahme oder die genauere Beobachtung der Hedging-Strategien der Vertriebe. Die seitens einiger Beobachter angesichts der Energiepreiskrise der Jahre 2022 und 2023 befürchtete umfassende Umwälzung des europäischen Marktdesigns, inkl. einer möglichen Infragestellung des Merit-Order-Prinzips bei der Strompreisbildung, ist jedoch ausgeblieben. Dies wird von vielen Marktteilnehmern angesichts der hohen erreichten Effizienz der Merit-Order-basierten europäischen Strommärkte begrüßt.

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